Raus aus Einzelkampf

Zwei Stammtische „Selbstständige mit Hartz IV“ bieten Rat, Hilfe und ein offenes Ohr

Stammtisch Nachricht (c) Andrea Thomas
Datum:
Di. 10. Okt. 2017
Wer selbstständig ist, so sagt man treffend, arbeitet selbst und ständig. Umso ernüchternder, wenn all diese Einsatzbereitschaft und der Fleiß dennoch nicht ausreichen, um so seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.
Stammtisch (c) Andrea Thomas

Anlaufstelle für die Sorgen, Nöte und Probleme von Selbstständigen, die „aufstocken“ müssen und Hartz IV beziehen, sind zwei Stammtische im Rahmen der kirchlichen Arbeitslosenarbeit im Bistum Aachen – einer in Aachen und einer in Krefeld und Viersen.

Beim Stammtisch in den Räumen von AHA 100 in Aachen-Haaren gibt es an diesem Abend etwas zu feiern. Robert Savelkoul, einer der regelmäßigen Teilnehmer, hat vor Gericht einen Vergleich mit dem Jobcenter erreicht – für das Jahr 2008. „Wenn ich das Geld, das ich in den letzten Jahren mühsam erstritten habe, direkt bewilligt bekommen hätte, hätte meine Selbstständigkeit ziemlich sicher Erfolg gehabt“, sagt er. Ironie lässt grüßen. Nach zwei Versuchen, sich als Nachhilfelehrer für Mathematik selbstständig zu machen und so aus Hartz IV rauszukommen, hat der studierte Elektrotechniker inzwischen aufgegeben. Zu viel Kraft hat ihn das Ganze gekostet, seine Ersparnisse sowieso. Das Bittere, langzeitarbeitslos zu sein, wollte er nie für sich akzeptieren, nachdem er mit Anfang 50 seinen Job verloren hatte. Sich auf eigene Füße zu stellen, darin sah er seine Chance, sich beruflich wieder etwas aufzubauen, eine Perspektive zu haben. Wie ihm geht es vielen, die einen der beiden Stammtische besuchen. Sie haben sich als Fotografen, Kameraleute, Dolmetscher, Hausmeister oder Heilpraktiker, in der Gastronomie oder mit einem Büroservice selbstständig gemacht. Nicht um damit reich zu werden, sondern weil sie arbeiten wollen. Einige wollten so mittelfristig wieder aus dem Leistungsbezug herauskommen, andere sind so erst hineingerutscht, weil der Erfolg als Selbstständiger nicht ganz so schnell kam oder sich unerwartete Schwierigkeiten ergeben haben. Und – von irgendwas muss der Mensch ja leben.

 

Mit Geld aus dem Unternehmen den Lebensunterhalt sichern

Doch der Weg zum Jobcenter hat für die meisten die Situation nicht leichter, sondern nur komplizierter gemacht. „Der Sachbearbeiter wird zu so einer Art zweitem Geschäftsführer, der bei Investitionen mitbestimmt“, sagt Carmen Pelmter, Beraterin im Arbeitslosenzentrum Krefeld, die den Stammtisch für die Regionen Krefeld und Viersen koordiniert. Der bürokratische Aufwand sei hoch, Sozialrecht und Steuerrecht nicht miteinander kompatibel. Was als Betriebsausgaben anerkannt werde und was nicht, sei oft nicht nachvollziehbar, um nicht zu sagen unlogisch und mitunter willkürlich. Das hat dann Auswirkungen auf den Gewinn, den das Jobcenter höher ansetzt, als er tatsächlich ist, und somit auch auf die Höhe der Leistungen. Wenn die denn erst einmal bewilligt werden. Auch darauf müssen die Selbstständigen oft lange warten. „Die Folge ist, dass liquide Mittel aus dem Unternehmen gezogen werden, um den Lebensunterhalt und die Miete zu bestreiten, die eigentlich investiert werden müssten, um die Geschäftsidee zum Laufen zu bekommen“, skizziert sie, was für viele der Anfang vom Ende ist. Schulden türmen sich auf, der Ordner mit den Einsprüchen und Widersprüchen wird immer dicker, und für die Altersvorsorge bleibt erst recht nichts mehr übrig. Für viele ist das auch eine hohe psychische Belastung.

 

Die Stammtischteilnehmer helfen einander gegenseitig

Hier ist der Stammtisch für viele eine unverzichtbare Unterstützung. „Hier treffen sie auf Menschen in ähnlicher Situation, können sich ihre Sorgen von der Seele reden und bekommen nützliche Informationen und praktische Hilfe“, sagt Horst Müller, Koordinator des Aachener Stammtisches. Der hat immer ein Thema, bevor es in den Austausch miteinander geht. Der ist gut und vor allem solidarisch. Die Teilnehmer helfen sich gegenseitig bei Anträgen und Widersprüchen gegen Bescheide, oder man begleitet einander zum Amt. Da habe man oft den Kopf so voll, sei emotional so aufgewühlt, dass es gut sei, wenn jemand mit kühlem Kopf dabei sei, schildert Horst Müller seine Erfahrungen. Er reist an Stammtischtagen extra aus der Nähe von Köln an, weil ihm das ein Anliegen ist. Er kommt seit 2009 zum Stammtisch, zuerst als selbst Betroffener, seit 2013 leitet er ihn. In der Zeit hat er vieles erlebt, Dinge, die einem keiner glaube. So kann beispielsweise die alle halbe Jahre fällige Einkommensschätzung ausschließlich in Papierform eingereicht werden, digital geht nicht. Nur, um dann zuerst einmal in einer zentralen Scanstelle digitalisiert zu werden, damit das Jobcenter damit arbeiten kann. Die Energie und der Aufwand, die da verloren gehen, wären aus seiner Sicht und der seiner Kollegin Carmen Pelmter besser eingesetzt in einer fundierten Beratung für Menschen, die sich selbstständig machen. „Daran mangelt es leider sehr“, sagt Carmen Pelmter. Umso wichtiger seien die Stammtische und auch die Beratungsangebote, die insbesondere die kirchlichen Träger im Bistum Aachen anbieten. „Es ist toll, dass die das machen“, sagt Robert Savelkoul stellvertretend für die Teilnehmer dankbar. Das sei auch ein Stück Wertschätzung für sie und ihre oft nicht leichte Situation.

Infos unter: www.arbeitslosenzentrumkrefeld.de sowie www.arbeitslos-in-aachen.de

Gastronomie (c) pixabay
Büro (c) pixabay

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